Musikalische Grüße aus dem "Decameron"

Wie man dem Tod ein Schnippchen schlägt

Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre feierte der italienische Liedermacher Angelo Branduardi in Deutschland Erfolge. Wer auch nur ein wenig auf Folk und Liedermacher stand, hörte seine Lieder.

Eines meiner Lieblingsstücke war "Ballo in Fa Diesis Minore – Tanz in Fis-Moll" aus dem Jahr 1977, aus dem Album "La Pulce d´Acqua".

„Tanz in Fis-Moll“, ehrlich gesagt ein etwas langweiliger Titel. Sogar auf italienisch klingt das nicht wirklich aufregend.

Aber das Lied selbst straft den langweiligen Titel Lügen.

Es ist vom mittelalterlichen „danza macabra“, dem makabren Tanz inspiriert, in welchem in unzähligen Bildern der Tod dargestellt wird, der Menschen aus allen sozialen Schichten zu ihrem unaufhaltsamen Schicksal begleitet.

Ich mochte das Lied, weil es mitreißend war und am Lagerfeuer bei den Pfadfindern für Stimmung sorgte. Man konnte den Trommelrhythmus hervorragend mitklatschen und mitstampfen.

Vor allem aber mochte ich es, weil es auf der Gitarre leicht zu begleiten und in einer Tonlage war, die ich problemlos singen konnte.

Angelo Branduardi: Ballo in Fa Diesis Minore

Vor ein paar Tagen fiel mir dieses Lied wieder ein. Ich finde, es passt gut zur momentanen Situation und zu unseren Decameron-Geschichten.

Beschrieben wird darin ein Reigentanz, der, je nach Interpretation, jäh vom Tod unterbrochen wird, oder den die Tanzenden dem Tod zum Trotz tanzen.

Zum Trommelschlag beginnt der Tod zu singen:

Sono io la morte*, e porto corona
Io son di tutti voi signora e padrona**
E così sono crudele, così forte sono e dura
Che non mi fermeranno le tue mura***

Sono io la morte e porto corona
Io son di tutti voi signora e padrona
E davanti alla mia falce il capo tu dovrai chinare
E dell'oscura morte al passo andare

Auf Deutsch:

Ich bin der Tod und trage die Krone
Ich bin Euer aller Herrin und Herrscherin
Und so grausam bin ich, so stark und hart
Dass mich Deine Mauern nicht aufhalten werden.

Ich bin der Tod und trage die Krone
Ich bin Euer aller Herrin und Herrscherin
Und vor meiner Sense musst Du Deinen Kopf beugen
Und dem dunken Tod im Gleichschritt folgen

„Danza Macabra" (dt. „Totentanz") von Simone Baschenis in der Kirche S. Vigilio von Pinzolo, Südtirol (1539)
„Danza Macabra" (dt. „Totentanz") von Simone Baschenis in der Kirche S. Vigilio von Pinzolo, Südtirol (1539), Wikimedia Commons

 

Man könnte meinen, dass in Zeiten wie der jetzigen ein Lied über die Unvermeidlichkeit des Todes zu trist und nicht gerade aufheiternd wäre.

Aber Branduardi wäre nicht Italiener, wenn er nicht noch eine kleine List auf Lager hätte.

Hat zuerst der Tod, oder sollte ich sagen, die Todin, ihr dramatisches Statement gemacht, so antwortet jetzt der Chor der Tanzenden, und diese hören sich weniger erschrocken oder beeindruckt an, als man vermuten würde. Auch die Musik ändert sich und wird auf einmal leicht und beschwingt.

Mir macht es immer Vergnügen, mir vorzustellen, wie honigsüß doch dieser Chor klingen muss.

Sei l'ospite d'onore del ballo che per te suoniamo,
Posa la falce e danza tondo a tondo:
Il giro di una danza e poi un altro ancora
E tu del tempo non sei più signora.

Auf Deutsch:

Du bist der Ehrengast des Tanzes, den wir für dich spielen,
Leg die Sense hin und tanze im Kreis rundherum:
Im Kreis eines Tanzes, und dann noch einmal
Und du bist nicht mehr die Herrin der Zeit.

(Die letzte Zeile stelle ich mir immer mit einem leicht hämischen Unterton vor.)

Mit den Worten von Branduardi selbst:

„...die Idee ist, dass Musik eine so große Kraft hat, dass der Tod vergisst, dass er uns wegbringen soll.

Ein Exorzismus des Todes durch Musik und Tanz.“

Eine andere Inspiration für das Lied soll der „ballo tondo“ der "Rundtanz" Sardiniens sein, - ein uralter heiliger und heidnischer Tanz, der die Tänzer in eine kollektive Trance führt, bei der man die Grenzen der eigenen Person hinter sich lässt.

„Es ist ein bisschen so, als würde man selbst sterben, aber weiterhin in der Musik leben und so den Tod besiegen.“

Ein Gesang auf das Leben


Und jetzt bekommt die Geschichte noch einmal eine Wendung.

Ich, und wahrscheinlich noch viele andere, hatte immer geglaubt, dass Branduardi, und seine Frau Luisa Zappa, die Autorin der meisten seiner Texte, ein mittelalterliches Totentanzlied wieder ausgegraben und neu arrangiert hätten.

Aber weit gefehlt.

Die Melodie von Ballo in fa diesis minore basiert nämlich auf dem Stück Schiarazula Marazula aus der Sammlung „Il primo libro de balli accomodati per cantar et sonar d'ogni sorte de instromenti - Das erste Buch der Tänze, gesetzt zum Singen und Spielen mit jeder Art von Instrument“, in dem der Renaissancekomponist Giorgio Mainerio 1578 die Melodie als Partitur arrangiert hatte.

Mit anderen Worten: Auch Giorgio Mainerio war nicht der Urheber, aber er interessierte sich für Okkultismus, Astrologie und Magie. Da er nicht mit Mainerio sondern mit Mayner unterschrieb kam die Frage auf, ob seine Familie möglicherweise aus England oder Schottland stammte.

Es gab auch Gerüchte, dass er gemeinsam mit einigen Frauen schwarze Messen abhielt. Die Inquisition in Aquileia eröffnete ein Ermittlungsverfahren gegen ihn als Vorstufe zu einem Prozess. Da aber keine weiteren Verdachtsmomente auftauchten, wurde der Fall zu den Akten gelegt.

Wie auch immer, wir dürfen annehmen, dass ein altes Lied, welches bei heidnischen Ritualen gesungen wurde, ihn nicht nur wegen der Melodie interessierte.

Da kann der Tod sich nur schmollend in die Ecke setzen - oder mittanzen

 

Dieses Lied war nämlich mitnichten ein Totentanz.

Es stammt auch nicht, wie von manchen angenommen, aus Flandern, sondern aus dem Friaul und wurde bereits im frühen Mittelalter, möglicherweise auch noch früher, von Frauen auf dem Land gesungen, um Regen zu beschwören.

Wir wissen davon aus den Unterlagen der Inquisition. Der Priester, Bernardino Morra aus Palazzolo della Stella in der Provinz Udine schrieb dieser nämlich eine Beschwerde, in der er sich darüber beklagt, dass, kurz und salopp gesagt, die Frauen in der Pfingstnacht früh um fünf Uhr morgens aufgeputzt und lärmend durch und um das Dorf zogen, um Regen herbeizuzaubern. Der gute Priester fühlte sich dadurch in seiner Nachtruhe gestört.

Das Lied welches, im Wechselgesang von zwei Chören gesungen wurde, begann laut seiner Aussage so:

schiarazzola marazzola a marito ch’io me ne vo’ et quello che segue si come son donzella che piova questa sera”

Ich habe versucht den Sinn dieser Strophe herauszufinden, allerdings dürfte meine Übersetzung, angesichts meiner absoluten Unwissenheit was friaulischen Dialekt betrifft, eher lückenhaft sein, und kann keinen Anspruch auf Richtigkeit erheben.

Schiarazula Marazula ist der Name eines mittelalterlichen Tanzes.

„Sciarazz“ bedeutet im Dialekt Schilfrohr oder Rohrstock, „marazz“ Fenchel.

Also: „Schilfrohr und Fenchel zu meinem (Ehe)mann geh ich, und das was folgt ist, weil ich ein Mädchen bin, dass es heute Abend regnen wird.“

Da kann sich nun jeder seinen Reim darauf machen, und man mag sich fragen, welcher Art dieser Regen wohl ist... Möglicherweise hat sich der in seiner Ruhe gestörte Don Bernardino das auch gefragt?

Ihr seht, egal in welcher Fassung, das Lied ist durchaus nicht traurig, sondern ein Gesang auf das Leben.

Da kann der Tod sich nur schmollend in die Ecke setzen - oder mittanzen!

Fa Diesis. Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=mC3uHa4iX3I
Fa Diesis. Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=mC3uHa4iX3I

Die Lust am Leben

Zugegeben, Reigentänze sind heutzutage bestimmt nicht das Mittel der Wahl, um Krankheit und Tod zu besiegen.
Tanzen in größeren Gruppen ist definitv kein sinnvolles Mittel gegen das Virus, das gerade versucht, "sich die Krone aufzusetzen".

Aber dafür verfügen wir glücklicherweise über andere, wirksamere Mittel um dem Virus ein Schnippchen zu schlagen und es in die Schmollecke zu verbannen:

Solidarität, Geduld, Besonnenheit, Vertrauen in den wissenschaftlichen Fortschritt und vor allem:

Die Lust am Leben!

Kleine Italienisch Lektion, für alle, die sich fragen, was die Sternchen bedeuten:

* Im italienischen und in allen romanischen Sprachen, die mir einfallen, ist der Tod weiblich.

** Eigentlich doppelt gemoppelt, es besteht kein wirklicher Unterschied zwischen „signora“ und „padrona“

*** "Mura“, eine der zwei Pluralformen von „muro – Mauer“ bedeutet die Stadtmauer(n), im Gegensatz zu Hausmauern „muri“.

 

Quellen:

https://terreceltiche.altervista.org/schiarazula-marazula-la-danza-della-pioggia-delleuropa-medievale/

https://lastoriaviva.it/schiarazula-marazula-un-ballo-medioevale-odiato-dallinquisizione/

http://losbuffo.com/2017/09/12/ballo-diesis-minore-branduardi-tema-delle-danze-macabre/

https://it.wikipedia.org/wiki/Schiarazula_marazula

https://www.visittrentino.info/de

 

Und wer es noch vertiefen möchte:
Hier singt Angelo Branduardi das Originallied mit großer Orchesterbesetzung, nicht so mitreißend, wie „Ballo in Fa Diesis“ aber im friulanischen Dialekt: https://www.youtube.com/watch?v=CKrOktEeH0g

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