Mit der Dampflok am Trasimenischen See

150 Jahre Bahnlinie Terontola-Foligno, Umbrien, Italien

Dampflok FS 685 am Bahnhof von Perugia
Dampflok FS 685 am Bahnhof von Perugia

 

Bahnhof Perugia, ein Sonntag Nachmittag im November:

Zuerst taucht am Ende der Gleise eine dunkelgraue Rauchwolke auf. Dann hört man auch schon das Stampfen und Fauchen der Dampflok. Das imposante Ungetüm und die Waggons fahren ein und hüllen den Bahnsteig in Dampf, Russ und Rauch.

Die Heizer schippen die letzten Kohlen und klettern dann unter dem Gejohle der Zuschauer von ihrem Arbeitsplatz. Kinder in Sonntagskleidern werden mit den rußgeschwärzten Gesellen fotografiert.
Eisenbahnliebhaber fachsimpeln über die Vorzüge der legendären Dampflok FS 685 aus den 20er Jahren, dem damaligen Flaggschiff der italienischen Eisenbahnflotte, von der nur noch zwei Exemplare fahrtüchtig sind.

Dampfzug Perugia-Terontola 6.11.2016. Video: REM Professional Filmmakers
Im Wartesaal

Der Zug hat bereits die mühevolle Steigung von Foligno nach Perugia hinter sich und braucht eine Verschnaufpause. Der riesige Bauch der Lok muss wieder mit Wasser aufgefüllt werden.

Wir warten geduldig im Wartesaal des Bahnhofs, dessen beste Jahre schon sehr lange zurückliegen: Die Art-Deco-Bemalung bröckelt von den Wänden, das aufwändige Fußboden-Mosaik hat große Löcher. In einer Ecke spielen ein paar Männer Karten, ältere Damen kramen in ihren Handtaschen und trinken Tee aus Thermoskannen.

Abfahrt
Waggon "Centoporte" von 1928
Waggon "Centoporte" von 1928

Und dann dürfen wir endlich einsteigen.

Fünf historische Waggons aus dem Jahre 1928, Modell "Centoporte" (Hundert Türen), das heisst jedes Abteil hat eine eigene Türe.

Innen blank polierte Holzsitze, Samtvorhänge, Gepäckablagen und Lampen im Jugendstil.

Im Zug

 

An den Wänden vergilbte Bilder von einst mondänen Reisezielen und Reproduktionen der großen Werke italienischer Kunst.

 

Ich suche auch nach einem Schild "Blumenpflücken während der Fahrt verboten", das es nach Erzählungen meines Vaters in den alten Zügen gab.
Ein solches Schild finde ich nicht, dafür aber die altbekannten Warnhinweise in vier Sprachen - "Nicht aus dem Fenster lehnen - Non sporgersi dalla finestra". Ich erinnere mich an Zugfahrten als Kind, als ich die fremdsprachigen Anweisungen zu enziffern und mir einzuprägen versuchte.
Zugfahren als mein erster Vorgeschmack auf die große weite Welt.

 

Wir haben uns den letzten Waggon ausgesucht, und für eine Weile sind wir dort ganz allein. Auf Perugia geht in diesem Moment ein Platzregen nieder, prasselt auf das Dach des Wagens, lässt den Bahnhof and alles darum verschwinden. Wir sitzen ganz still und andächtig, wie aus der Gegenwart enthoben und in eine weit vergangene Zeit zurückversetzt. Wir stellen uns vor, wer schon alles im Laufe der Jahrzehnte auf diesen Holzbänken gesessen haben mag, welche Geschichten sich hier abgespielt haben mögen.

150 Jahre Bahnlinie Terontola-Foligno
Der Bahnhof von Terontola in den 20er Jahren. Foto von Lestradeferrate.it
Der Bahnhof von Terontola in den 20er Jahren. Foto von Lestradeferrate.it

Die Bahnlinie Terontola- Perugia wurde im Dezember 1866 eingeweiht und ermöglichte die direkte Verbindung von Florenz nach Rom. Sie war Teil der wichtigsten Nord-Süd-Strecke Italiens.

Es gab viel Pomp bei der Einweihung und die Hoffnung auf lang anhaltenden wirtschaftlichen Aufschwung für Umbrien.

Knapp zehn Jahre später wurde allerdings die direktere Bahnlinie von Terontola nach Chiusi erföffnet. Rom konnte somit ohne den Umweg über das zu weit östlich liegende Perugia erreicht werden.
Die Hauptstadt Umbriens lag nun wieder abseits der Hauptverbindungsroute und fiel in ihren Dornröschenschlaf zurück.

Im Rausch der Geschwindigkeit

 

Der Regen hört auf und der Zug setzt sich mit lautem Gefauche in Bewegung. Wir stecken natürlich die Köpfe weit aus dem Fenster - entgegen der Warnschilder - und werden sofort eingehüllt von Dampf und Ruß.

Es ist ein berauschendes Gefühl, den Fahrtwind im Gesicht,  den Geruch von Rauch und feuchter Erde in der Nase.

Und schnell fährt der Zug, viel schneller als gedacht. Von wegen "Blumenpflücken während der Fahrt verboten"! Die Strecke von Perugia nach Terontola fahren wir in einer knappen Stunde, fast in der selben Zeit wie in einem modernen Zug.

 

Die Spätnachmittagssonne kommt durch die Wolken.

Umbrische Herbstlandschaft, gelb belaubte Weinberge, das Silbergrün der Olivenhaine, das fahle Braun frisch gepflügter Äcker.

Nach dem "krummen" Tunnel von Magione (angeblich haben sich die Ingenieure beim Bohren von beiden Seiten her verrechnet und es mußte ein kleiner "Knick" in der Mitte des Tunnels eingebaut werden) liegt plötzlich der Lago Trasimeno vor uns, matt glänzend von den letzten Sonnenstrahlen. Über den Inseln ein Wolken- und Lichtschauspiel in allen Farbschattierungen. Zugvögel stieben aus dem Schilf auf. An Bahnübergängen und kleinen Bahnhöfen winken Menschen.

Ankunft

 

Der Bahnhof von Terontola versinkt schon in der Abenddämmerung, als wir einfahren. Wir steigen durch eine der "Hundert Türen" aus - und sind wieder zurück  in der Gegenwart.

Gesichter und Haare sind mit einer gräulichen Rußschicht bedeckt. Jetzt verstehen wir, warum man früher nach einer Bahnfahrt immer gleich gefragt wurde, ob man sich nach der Reise nicht erst einmal "frisch machen" möchte.

Ja, das möchten wir und waschen uns den Ruß aus dem Gesicht.

Was bleibt, ist eine wunderbare Erinnerung an eine Reise in eine andere Zeit!

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